Nachlese zur Praxiszeit "Material" vom 03.03.2016 in der Henrichshütte Hattingen - Kompetenznetzwerk für Oberflächentechnik e.V.

Nachlese zur Praxiszeit „Material“ vom 03.03.2016 in der Henrichshütte Hattingen

„Kaum zu fassen, dass ein 2 mm dicker Draht aus einer Formgedächtnislegierung in der Lage ist, 140 Kg zu heben“ sagt Achim Gilfert, Geschäftsführer des Kompetenznetzwerks für Oberflächentechnik e.V. „In meiner Vorstellung standen Formgedächtnislegierungen eher für filigrane Anwendungen mit kleiner Kraftübertragung“ so Gilfert weiter.

Die Praxiszeit „Material“ war eine spannende Veranstaltung und es gab viele Einblicke, die man in dieser Konzentration und Zusammenstellung noch nicht kannte. Im Weiteren war die Praxiszeit von großer Bedeutung für Unternehmen aus der Oberflächentechnik und der Metallverarbeitung, um Kontakte zu knüpfen und Networking zu betreiben.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung am 03. März 2016 standen die Vorträge über innovative Konzepte in der Beschichtungstechnik zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Lebensdauer von Werkzeugen und Bauteilen von Prof. Wolfgang Tillmann von der TU Dortmund, ein Vortrag über die Materials Chain der Universitätsallianz Ruhr von Dr. Ingor Baumann und eine Präsentation über Smart Materials in der Praxis von Dr. Peter Dültgen, Geschäftsführer der Forschungsgemeinschaft Werkzeuge und Werkstoffe e.V. (FGW) aus Remscheid, welche Mitglied im Verein des KfO sind. Des Weiteren erläuterte Karsten Bleymehl (MRC) über das Thema Materialtransfer und wie aus branchenfernen Materialien innovative Produkte entstehen und dabei Materialdatenbanken nützlich sein können. Dr. Arnd Schimanski, von der INNOVENT e.V. in Jena, berichtete über Technologietransfer und Praxisbeispiele aus der Industrieforschung.

Ein Beispiel für ein von Prof. Tillmann vorgestelltes Beschichtungskonzept war das Plasmaspritzen, ein thermisches Oberflächenbeschichtungsverfahren, bei der Partikel durch einen Lichtbogen, zwischen Anode und Kathode erzeugt, auf dem Zielobjekt aufgeschmolzen werden. Ein großer Vorteil des Plasmaspritzens ist, dass jeder Werkstoff beschichtet werden kann, der Nachteil liegt allerdings in den hohen Anschaffungskosten. Anwendung findet dieses Verfahren in der Beschichtung von Turbinenschaufeln sowohl für die Luftfahrt als auch in der Gasbranche, auf Bügeleisengleitflächen und auf Rollen, die in der Papierindustrie benötigt werden. Die aufgeschmolzene Schicht dient als Schutzschicht vor Verschleiß und kann unter anderem auch auf Bremsscheiben aufgebracht werden, um den Verschleiß zu senken. Auch modifizierte Spritzdüsen, eingesetzt bei dem Hochgeschwindigkeits-Flammspritzen, befeuert mit Kerosin, stellen eine Neuerung dar, da so homogenere und härtere Schichten erzeugt werden können.

Die Initiative Materials Chain ist eine Kooperation der TU Dortmund, Universität Duisburg Essen und der Ruhr Universität Bochum und der vielfältigen Partner. Sie bündelt die vielfältigen Forschungsstärken der Universitäten mit den diversen Partnern. Vom Atom bis zum Bauteil sind alle Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsschritte miteinander verkettet, die jedoch keine sukzessive Abfolge darstellen. Eng in Zusammenhang stehen diese Schritte mit der experimentellen Analyse von Materialien und ihren Eigenschaften, der theoretischen, numerischen Beschreibung der Materialieneigenschaften, die Akquisition, bzw. die Pflege der Daten und die Bereitstellung von Rechenressourcen.

Smart Materials, vorgestellt von Dr. Peter Dültgen sind unter anderem sogenannte Formgedächtnislegierungen (FGL), die sich durch Erwärmung, bzw. durch hinzuführen von Strom wieder an die „angelernte Form erinnern“. Dies wird durch zwei Phasen, bzw. unterschiedliche Strukturen erreicht. Die meisten Metalle weisen nur eine Kristallstruktur bis zum Schmelzpunkt auf und können somit ihre alte Struktur nicht einfach wiedererlangen. Ein Beispiel für eine Anwendung eines FGL-Aktors ist die Ablösung eines herkömmlichen Elektromotors durch einen Formgedächtnisdraht in dem Tankdeckelverschluss in einem Auto. Vorteile dieses FGL-Aktors sind das geringe Gewicht von gerade einmal drei Gramm, im Vergleich zu einem Elektromotor mit 106g. Die Montage ist nicht so aufwendig und damit kostengünstiger. Außerdem ist eine Formgedächtnislegierung Sensor und Aktor in einem, da sich z.B. durch den Ventilhub, oder die Länge/Position einer FGL, auf den ohmschen Widerstand schließen lässt und umgekehrt.

Karsten Bleymehl von MRC berichtete über Materialtransfer und Materialdatenbanken. Materialdatenbanken sind Bibliotheken, die Tausende verschiedene Materialien aufbewahren und Kunden, die auf der Suche nach einem geeigneten Material für ihr Projekt sind, zugänglich machen. MRC informiert sich branchenübergreifend nach Material- und Technologielösungen für die Entwicklung innovativer Produkte für Unternehmen aus allen Branchensparten. Ein Beispiel für eine solche Technologielösung ist das additive Stricken, ein 3D-Druckverfahren, mit dem prinzipiell alles druckbar ist. Eingesetzt wurde es unteranderem für das Unternehmen Nike, bei dem Schuh „Nike Flyknit“. Bei der Produktion dieses Schuhs entstehen 80% weniger Abfall, bei einer generellen Reduzierung der eingesetzten Materialien und einer Gewichtseinsparung von 18%, wodurch Kosten eingespart werden können. Gekennzeichnet wird die Produktion des Schuhs durch eine standortunabhängige und automatisierte Fertigung.

Über Beispiele aus der Industrieforschung und Technologietransfer berichtete Dr. Arnd Schimanski von INNOVENT e. V. Eine Entwicklung sind die Pyrosil-Nanobeschichtungen per Flamme, die aus dem Silicoater entstanden sind. Anwendungen für dieses Verfahren lassen sich in der Dentalindustrie finden, bei der Goldzähne, für den dentalen Frontbereich, mit einem Kunststoff oder Keramik überzogen wurden. Ein weiteres Beispiel ist die Verklebung von Glas, z.B. in Duschkabinen, oder für Glastische. Eine weitere Verwendung lässt sich in der Beschichtung von Titan wiederfinden, die früher für Implantate bei Hunden, in den USA, genutzt wurden und heute auch für den Menschen zugelassen sind. Schrauben, ebenfalls in dem Implantatbereich verwendet, die mit dem Pyrosilverfahren beschichtet wurden, lassen sich leichter mechanisch lösen und es kommt nicht zu einer Kaltverschweißung. Eine weitere Anwendung liegt in der Beschichtung beispielsweise für Beamerlampen, die eine tiefschwarze Oberfläche erfordern.

„Wir konnten nicht alle Inhalte auf unseren Betrieb beziehen, aber das war auch nicht nötig. Durch die Themensammlung der Praxiszeit wurde unser Blick geöffnet und wir konnten für uns neue Bezüge zu Themen und Fragestellungen herstellen“ sagte ein Teilnehmer bei der Verabschiedung in den Feierabend. Genau das freut uns als Ausrichter, denn wir sehen auch hier unsere Aufgabe – im Besonderen für unsere Mitglieder!

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